Carlo Levi (1902 – 1975)
[Schriftsteller, Arzt, Künstler]
Buch: Die doppelte Nacht. Eine Deutschlandreise im Jahr 1958 [2024].

(ERÖFFNUNGSVERANSTALTUNG: Donnerstag, 28. August 2025 / Beginn: 19.30 Uhr / Einlass: 18.45 Uhr — Ort: AQUA MAGICA-Park)

Der 1902 in Turin geborene Schriftsteller, Maler und Arzt Carlo Levi, der durch die Veröffentlichung seines Romans Christus kam nur bis Eboli von 1945 weltberühmt wurde, reiste im Winter des Jahres 1958 ebenfalls beruflich durch ein Deutschland, welches sich immer noch im offensichtlichen Zustand des Nachkriegs befand. Über seine Erlebnisse und Reiseeindrücke veröffentlichte er ein Jahr später die Erzählung Die doppelte Nacht, die 2024 von Martin Hallmannsecker in einer Neuübersetzung ins Deutsche übertragen wurde.

»Die deutsche Übersetzung, die überaus gelungen und fluide ist, kommt gerade zur rechten Zeit. […]. So wird diese `Deutschlandreise im Jahr 1958´ zum Augenöffner auch für die heutige Zeit und ihre zahlreichen Verwerfungen.«
[Marko Martin, Deutschlandfunk Kultur]

Ingo Schulze und sein 1975 verstorbener italienischer Schriftstellerkollege Carlo Levi unternehmen in ihren Büchern zwei gänzlich voneinander verschiedene Reisen durch Deutschland und teilen uns in ihren Beschreibungen zwei Ansichten über das Leben in einem Land in zwei vollkommen voneinander unterschiedlichen Zeiten mit, welches sich aber damals wie heute in einer Stimmung angespannter Ratlosigkeit wähnte.

Weder Levi noch Schulze biedern sich dabei der Leserin und dem Leser durch einen plumpen, heruntergekommenen Realismus an. Beide sind begnadete Beobachter, die es verstehen, ihre Wahrnehmungen in eine genaue Sprache zu übersetzen. Mit einem geradezu ethnologischen Blick schauen sie auf die Menschen und Situationen, denen sie begegnen, und legen dabei in einer Mischung aus Aufzeichnung und Betrachtung, ob bewusst oder ungewollt, kleine Zeugenschaften von der „Seele der Deutschen“ frei.

Obwohl zwischen Schulze und Levi zwei Generationen mit unterschiedlichen historischen Erfahrungen und Erlebnissen liegen, gibt es aufgrund ihrer aufrichtigen Neugier und einfühlsamen Hinwendung zu den Menschen eine durchaus geistesverwandte, wenn auch differenzierte Nähe ihrer Ansichten auf Deutschland.

Wie bei Ingo Schulze sind es auch bei Carlo Levi Einladungen und Begegnungen, die beide Autoren dazu bewegen, ihre Eindrücke über menschliche Stimmungen wie über die kulturellen und gesellschaftlichen Besonderheiten der verschiedenen Orte festzuhalten, auf die sie treffen.

»Deutschland ist in jeglicher Hinsicht, geografisch, historisch, politisch, kulturell, das Zentrum Europas: Das ist es immer noch, noch immer sind seine Probleme die Probleme aller, die alle betreffen. Doch ist es ein leeres Zentrum; ein bisschen so wie der Punkt im Auge eines Tornados, wo die Luft unnatürlich regungslos in absoluter Ruhe verharrt.«
[Carlo Levi]

Ohne einen genauen Plan vor Augen lässt sich Carlo Levi durch einzelne deutsche Städte treiben, besucht in München Bierkeller, das Hofbräuhaus, einen Nachtclub, in dem Jazz gespielt wird, fährt nach Dachau und sieht, dass im ehemaligen KZ Vertriebene untergebracht werden. Er besichtigt das Fuggerhaus in Augsburg und die vom Krieg zerstörten Städte Ulm und Stuttgart. Schließlich fährt er weiter nach Berlin, damals die Frontstadt des beginnenden Kalten Krieges. Nicht nur hier bemerkt er zwischen Kurfürstendamm und Unter den Linden, Dahlem und dem Berliner Ensemble, das Deutschland und die Deutschen das Trauma von Nationalsozialismus und Krieg längst nicht überwunden haben.

»Man errichtet Paläste aus Glas und Stahl, die Schaufenster quellen über, alle sind Helden: […]. Aber wo ist das Berlin des deutschen Mythos hin, das Berlin, das Heine zufolge die Ironie entdeckt habe, jene wunderbare Erfindung, die Dummheit in Weisheit verwandle?«
[Carlo Levi]

Die Niederschrift seiner Eindrücke von Deutschland nahm Carlo Levi gleich nach seiner Rückkehr nach Italien in Angriff. Zwischen Januar und April 1959 wurde sie zunächst in fünfzehn Artikeln für die Turiner Tageszeitung La Stampa publiziert, bevor dann ein Buch daraus wurde. Dabei hat Levi es sich nicht leicht gemacht mit Deutschland, welches sich umgekehrt aber auch mit Levi schwergetan hat. 1984 erschien die weniger sorgfältige Übersetzung von Levis Reisebericht erstmals auf Deutsch. Damals fand das Buch kaum Beachtung. Man kann nur hoffen, dass dies der zweiten Übersetzung nicht passiert, denn es rührt an Wunden der deutschen Seele, die heute noch oder heute wieder brennen.

»Der spektakuläre Reisebericht […] wirft ein luzides Schlaglicht auf Deutschland nach dem Krieg.«
[Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von der WELT, NZZ, RBB Kultur und Radio Österreich 1 im Januar 2025]


Fondazione Carlo Levi

Carlo Levi (1902 – 1975)