zu Italo Calvino
„Ich bedaure, dass wir uns nicht kennen“ – Italo Calvino – Zum 100. Geburtstag eines zeitlosen Klassikers der Weltliteratur
(Abschlussveranstaltung / Das Autorenproträt II / Sonntag, 27. August 2023 / Beginn: 18.30 Uhr / Einlass: 18.00 Uhr)
Mit Maddalena Fingerle und Michael Krüger; Sprecher: Rolf Becker
Bücher u.a.: Wenn ein Reisender in einer Winternacht [2012]; Marcovaldo oder die Jahreszeiten in der Stadt [2015]; Herr Palomar [2012]; Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend [2012]; Die unsichtbaren Städte [2007]; Ich bedaure sehr, dass wir uns nicht kennen. Briefe [2014]; Eremit in Paris [2012]; Album Calvino [2013]; Der Baron auf den Bäumen [2012]; Cosmicomics [2015]
»Von den Lesern erwarte ich, dass sie in meinen Büchern etwas lesen, was ich nicht wusste, aber das kann ich nur von denen erwarten, die etwas lesen wollen, was sie noch nicht wissen.«
[Italo Calvino, Wenn ein Reisender in einer Winternacht]
Zum 100. Mal jährt sich in diesem Jahr der Geburtstag eines der herausragenden Persönlichkeiten des italienischen und internationalen Kulturlebens: Italo Calvino, der 1923 auf Kuba geboren wurde.
Das 22. Internationale Literaturfest „Poetische Quellen“ widmet sich damit zum Abschluss einem leidenschaftlich schreibenden und lesenden Literaten, der mit der unglaublichen Vielfalt seines schriftstellerischen Werkes geradezu ein Paradebeispiel dafür ist, wie es Literatur gelingen kann, vor den Augen aller Lesenden die unterschiedlichsten Welten miteinander zu verbinden und überhaupt erst entstehen zu lassen.
Die 1983 veröffentlichte deutsche Übersetzung von Calvinos Weltbestseller Wenn ein Reisender in einer Winternacht, übersetzt von Burkhart Kroeber, löste in Deutschland zusammen mit dem ein Jahr zuvor erschienenen Roman Der Name der Rose von Umberto Eco ein großes und länger anhaltendes Interesse an italienischer Literatur aus, was schließlich 1989 zum ersten Gastlandauftritt Italiens bei der Frankfurter Buchmesse führte.
2024 wird Italien zum zweiten Mal Ehrengastland bei der Frankfurter Buchmesse sein und die Abschlussveranstaltung dient gleichzeitig als Hinweis darauf, dass das Literaturland Italien dann auch im thematischen Mittelpunkt des 23. Internationalen Literaturfestes „Poetische Quellen 2024“ stehen wird.
Italo Calvino im Porträt
»Die Welt ist nicht lesbar, aber wir müssen gleichwohl versuchen, sie zu entziffern.«
[Italo Calvino]
In der Nacht vom 18. auf den 19. September 1985 stirbt Italo Calvino an den Folgen eines Gehirnschlages in Siena. Sein Tod löst nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa eine große Bestürzung aus. Die letzten Überlegungen von Herrn Palomar, der bekanntesten schriftstellerischen Figur Italo Calvinos, gelten dem „Versuch, tot sein zu lernen“. In dem Augenblick, in dem er diesen Versuch unternimmt, stirbt er.
Geboren wurde Italo Calvino am 15. Oktober 1923 in Santiago de las Vegas auf Kuba, wo sein Vater als Agronom tätig war. 1925 kehrt die Familie in die italienische Heimat nach San Remo zurück, wo Italo gemeinsam mit dem vier Jahre jüngeren Bruder Floriano seine Jugend verbringt. Als Freidenker legten die Eltern Wert auf eine gute Ausbildung, weniger auf eine religiöse Erziehung. 1941 schrieb sich Italo zunächst an der Agrarwissenschaftlichen Fakultät der Universität Turin ein, wechselte aber bald zu den Fächern Literatur und Philosophie. 1943 entzog er sich der faschistischen Rekrutierung, indem er sich der kommunistischen Widerstandsgruppe „Garibaldi“ anschloss. Nach dem Krieg beendete er sein Studium und engagierte sich aufgrund der Kriegserfahrungen in der Kommunistischen Partei Italiens, mit der er nach dem Ungarnaufstand 1956 brach. Seit 1950 war er Redaktionsmitglied im renommierten Turiner Einaudi Verlag, für den er später als Lektor arbeitete, zusammen mit Cesare Pavese und Natalia Ginzburg. 1957 erschien sein Roman Der Baron auf den Bäumen, mit dem Calvino rasch international bekannt wurde. In seinem Nachruf auf Calvino schrieb Umberto Eco dazu: »Als wir seinen Baron auf den Bäumen lasen, begriffen wir zehn Jahre Jüngeren: Er war der Schriftsteller unserer Generation.«
»So hat Calvino durch das Mittel der Sprache dem Gerechtigkeit widerfahren lassen, was sich der völligen Bemächtigung durch die Sprache entzieht: unserem fühlenden Leib, unserer unfaßbaren Freiheit.«
[Jean Starobinski in: Italo Calvino, Die Mülltonne und andere Geschichten; im Nachwort]
Neben der eigenen schriftstellerischen Arbeit, schrieb er für mehrere Literaturzeitschriften und gründete gemeinsam mit dem Autor Elio Vittorini die berühmt gewordene Zeitschrift Il Menabò. Mitte der 1960er Jahre verschiebt sich sein Lebensschwerpunkt und Calvino pendelt zwischen Rom und Paris. 1962 lernt er seine spätere Frau Esther Judith Singer kennen, die er zwei Jahre darauf heiratet. 1965 wird seine Tochter Giovanna geboren. 1967 verlegt er seinen festen Wohnsitz nach Paris. Hier entstehen mit Die unsichtbaren Städte (1972) und dem Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht (1979) zwei der bekanntesten Bücher Calvinos. Letzteres wird schnell zu einem internationalen Weltbestseller.
„Calvinos literarisches Engagement besteht […] im unbedingten Festhalten an der Überzeugung, dass die Literatur eine Bedingung der Möglichkeit menschlichen Überlebens ist, dass die in ihr enthaltenen Ausdrucks- und Erkenntnismöglichkeiten durch nichts anderes zu ersetzen sind.“
[Helene Harth in: Zibaldone – Zeitschrift für italienische Kultur der Gegenwart, Nr.1]
1980 kehrt Calvino wieder nach Italien zurück. Mit den Erzählungen Palomar erscheint 1983 schließlich sein letztes von ihm selbst veröffentlichtes Buch. Die Hauptfigur ist ein Spiegel ihres Autors und versucht, die Welt zu verstehen, um mit ihr und sich selbst in Einklang stehen zu können. Nach seinem Tod 1985 wurde Calvino auf dem Friedhof von Castiglione della Pescaia beigesetzt, einem Fischerort an der toskanischen Maremma-Küste westlich von Grosseto.
»Italo Calvino lebt – und zu bedauern ist, wer ihn nicht kennt.«
[Christoph Kappes, Süddeutsche Zeitung]
Heute wird Italo Calvino in die Reihe der Modernen Klassiker eingeordnet, auch wenn irgendeine Einordnung der Vielgestaltigkeit und Zeitlosigkeit seines ganzen Werkes widerspricht. Er war einer der originellsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Einzigartig wurde er durch seine ganz und gar unklassische Phantasie, seinen sprachspielerischen Witz und seine unverhohlene Freude am Fabulieren und Geschichtenerzählen. Calvinos mit zahlreichen Auszeichnungen gefeiertes Werk wurde in alle Weltsprachen übersetzt. Aufgrund seines unerwartet frühen Todes hat er den Literatur-Nobelpreis nie erhalten.
»Italo Calvino hat uns bewiesen, dass möglich ist, was wir schon für unmöglich hielten: dass man in Büchern (in seinen Büchern) lesen und lernen, vergnügt sein und nachdenken, sich verlieren und sich wiederfinden kann.«
[Ulrich Greiner, DIE ZEIT]

Angelo R. Turetta / Hanser Verlag