Ralf Rothmann
stellt seinen Roman Die Nacht unterm Schnee [2022] vor.
(Lesungen und Gespräche am Nachmittag / Sonntag, 27. August 2023 / Beginn: 15.00 Uhr)
»Erstaunlich: Ungeachtet der dauernden Schläge in der Kindheit ist eine Art Selbstbewusstsein entstanden, nämlich das, nicht gar so nichtswürdig und schlecht zu sein, wie es mir, dem dauernd „Verträumten“, eingebläut wurde«, schreibt Ralf Rothmann in seinem jüngsten Buch Theorie des Regens, einer Zusammenstellung von Notizen aus den letzten 50 Jahren. Damit spielt er nicht nur auf das Verhalten eines alten Nazi-Lehrers während seiner Schulzeit an, sondern auch auf das problematische Verhältnis zu seiner Mutter, die Pate gestanden haben mag für die Hauptfigur namens Elisabeth in seinem ausgezeichneten letzten Roman Die Nacht unterm Schnee. Zusammen mit den Vorgängerromanen Im Frühling sterben aus 2015, der internationale Beachtung fand und in 25 Sprachen übersetzt wurde, und Der Gott jenes Sommers aus 2018, lässt sich Die Nacht unterm Schnee auch als der dritte Teil einer Romantrilogie lesen, der von der eigenen Herkunftsgeschichte der Kriegs- und Nachkriegszeit des II. Weltkrieges geprägt wurde. Die in den letzten Kriegsmomenten von Soldaten vergewaltigte Elisabeth, kämpft sich in den frühen Nachkriegsjahren hart durch ihr Leben. Durch den Krieg traumatisiert tanzt sie voller Verzweiflung und ohne Vertrauen aber mit unbedingtem Lebenswillen von einem Rummel zum anderen, um ja nicht zur Besinnung zu kommen und der schmerzvollen und entwürdigenden Erinnerung an den Krieg die Macht über ihr Leben zu überlassen.
Ralf Rothmann, 1953 in Schleswig geboren, wuchs im Ruhrgebiet auf. Nach der Volksschulzeit und einem kurzen Besuch der Handelsschule machte er zunächst eine Maurerlehre und arbeitete anschließend in verschiedenen Berufen. 1976 zog er nach Berlin, wo er mit dem inzwischen vielfach ausgezeichneten Schreiben begann und seitdem lebt. 1986 erschien mit der Erzählung Messers Schneide sein erstes Buch beim Suhrkamp Verlag, dem er bis heute treu geblieben ist und umgekehrt.
Seine mit Leben gefüllten Romane sind ein Gewinn für jeden Leser. Er sagt selbst, dass sein Schreiben weniger aus der Phantasie kommt, sondern sich aus seinen Erlebnissen und Erfahrungen entwickelt. »Jede Gabe ist eine Aufgabe«, schreibt er in der Theorie des Regens. Seinen Büchern merkt man an, wie ernst er diesen Satz nimmt, denn man muss annehmen, dass die Leichtigkeit und Anschaulichkeit, mit der er seine Romane und Erzählungen zu Papier bringt, nur aus hochkonzentrierter Arbeit entstehen können. Über »das Wunderbare beim Schreiben« sagt er: »Man wird im Verlauf der Arbeit beschenkt mit etwas, das weit über das hinausgeht, was man sich vorgestellt hat.« Und auch das gilt natürlich für die Leser.
»Gibt es vollkommene Erzähler? Wenn ja, dann ist der Schriftsteller Ralf Rothmann nahe daran, einer zu sein. Rothmann […] schildert die Wirklichkeit so genau und anschaulich, dass sie mit tiefem Sinn erfüllt scheint.«
[Michael Bittner, Neues Deutschland]

Heike Steinweg