Nicola Lagioia
[Schriftsteller]
(Sonntag, 25. August 2024 / Beginn: 16.30 Uhr / Ort: AQUA MAGICA-Park / Das Tischgespräch II)
Roman: Die Stadt der Lebenden [2023].
Nicola Lagioia wurde 1973 in der süditalienischen Stadt Bari geboren. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 2001. Es folgten weitere Veröffentlichung in einem Autorenkollektiv, bis er 2009 mit Riportando a casa (dt. etwa: Nach Hause bringen) seinen zweiten Roman veröffentlichte, für den er gleich mit drei Preisen ausgezeichnet wurde. Im Jahr 2014 folgte der vielbeachtete Roman La ferocia, für den Lagioia den Premio Strega, den wichtigsten Literaturpreis Italiens bekam. Mit dem Roman reihte er sich in eine Generation italienischer Autoren ein, deren Schreiben ein Aufschrei gegen eine politische Klasse darstellt, die Italien und seine Bewohner mit Spekulation und Korruption unterwandert und damit das Gemeinwesen zerstört hat. Lagioias Blick in die Dunkelzonen der Gesellschaft zeichnet ein schonungsloses Sittenbild vom Zerfall der Beziehungen und vom Zerfall des italienischen Südens nach. In Deutschland erschien der Roman unter dem Titel Eiskalter Süden und machte ihn hier erstmals als Autor bekannt.
Sein jüngster Roman La città dei vivi erschien 2020 im renommierten Turiner Einaudi Verlag und war eine literarische Sensation. Das Buch, das in der deutschen Übersetzung Die Stadt der Lebenden heißt, versucht die wahre Geschichte eines grausamen Mordes zu rekonstruieren, den zwei Jungen aus gutem Hause an einem dritten begangen haben. Vorausgegangen waren jahrelange Recherchen des Autors, die das Sichten von Gerichtsakten und Gutachten, Abhörprotokollen, inzwischen rechtskräftigen Urteilen, Audio- und Videobeiträgen, offiziellen Erklärungen und Interviews umfassten. „Die Anerkennung der eigenen Verantwortung bei einer schändlichen Tat wurde auf emotionaler Ebene zu einer unerträglichen Prüfung“, heißt es im Buch, und weiter: „Niemand brachte es mehr fertig, sich eine Schuld zuzuschreiben, niemand gestand sich selbst die Möglichkeit des Bösen ein. War das der Narzissmus der Massen?“ Es ist eine Reise in den menschlichen und moralischen Abgrund einer Gesellschaft und gleichzeitig eine Offenlegung des städtischen Molochs Rom.
In Rom lebt Lagioia seit gut zwei Jahrzehnten und arbeitet als Lektor beim römischen Verlag minimum fax. Von 2013 bis 2015 war er Mitglied der Auswahljury der Internationalen Filmfestspiele von Venedig. 2016 wurde er zum Leiter der Internationalen Buchmesse von Turin berufen und hatte dieses Amt bis 2023 inne. Wie so viele italienische Intellektuelle mischt sich auch Lagioia in aktuelle politische Debatten ein. Zuletzt prangerte er das Chaos an, das um den diesjährigen Auftritt Italiens als Ehrengastland der Frankfurter Buchmesse im Oktober entstanden war und warf der Regierung vor, die Kultur und die eigenen Schriftsteller zu verachten.
»Eine eindringliche Studie über Schuld und Sühne, vor allem aber ein Panoptikum der italienischen Metropole mit all ihren Abgründen. «
[Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag]
Chiara Pasqualini