Maddalena Fingerle

Buch: Muttersprache [2022]

(Abschlussveranstaltung / Das Autorenproträt II / Sonntag, 27. August 2023 / Beginn: 18.30 Uhr / Einlass: 18.00 Uhr)

Während seiner Arbeit als Lektor in dem bekannten Turiner Verlagshaus Einaudi hatte Italo Calvino auch die Aufgabe, neue, interessante Autoren zu gewinnen. Auch vor diesem Hintergrund wurde 1985, kurz nach dem Tod Calvinos, auf Initiative einer Gruppe von Freunden und Bewunderern des Schriftstellers – darunter so angesehene Personen wie Norberto Bobbio, Natalia Ginzburg, Lalla Romano und Cesare Segre – der Premio Italo Calvino, also der Italo Calvino-Preis ins Leben gerufen. Dahinter stand und steht der Gedanke, sich an erstmalige und unveröffentlichte Autoren zu wenden, für die der Kontakt mit der Öffentlichkeit und den Verlagen nicht einfach ist. In Italien ist der Preis inzwischen der renommierteste Preis für Nachwuchsautoren.

Im Jahr 2020 wurde er zum 33. Mal verliehen. Preisträgerin war Maddalena Fingerle mit ihrem Romandebüt Muttersprache. Es folgten drei weitere Literaturpreise, die Lingua Madre, so der Originaltitel von Muttersprache, zu dem erfolgreichsten italienischen Romandebüt werden ließen.

Hauptfigur des Romans ist eigentlich die Sprache selbst. Der Protagonist, Paolo Prescher, ist besessen von Wörtern, die für ihn auch einen Geruch, eine Farbe und einen Klang besitzen. Gleichzeitig hasst er „schmutzige Wörter“, worunter er diejenigen Wörter versteht, die nicht das ausdrücken, was sie ausdrücken sollten. »Ihm geht es darum, dass die Wörter nicht heuchlerisch sein sollten, sondern das sagen, was sie auch sagen wollen und sollen. Alle Namen im Roman sind Anagramme«, sagte Fingerle in einem Interview dazu. Ebenso kann Paolo Prescher auch die Menschen in seiner Heimatstadt Bozen mit ihrer scheinbaren Harmonie zwischen den Sprachgruppen und Identitäten nicht ausstehen, die die Sprache heuchlerisch und unehrlich benutzen. Er sucht, das Italienische hinter sich zu lassen und flieht nach Berlin, in der Hoffnung, seine sprachliche und damit auch menschliche Harmonie wiederzufinden.

Maddalena Fingerle wurde 1993 in Bozen geboren. Sie studierte Germanistik und Italianistik in München an der LMU, wo sie innerhalb eines Sonderforschungsbereichs zu Vigilanzkulturen über Torquato Tasso und Giovan Battista Marino promoviert hat.

»Manchmal scheint mir , als ob eine Pestepidemie über die Menschheit gekommen wäre und sie gerade in ihrer charakteristischsten Fähigkeit getroffen hätte, das heißt eben im Gebrauch der Worte, eine Pest der Sprache, die sich als Verlust von Unterscheidungsvermögen und Unmittelbarkeit ausdrückt, als ein Automatismus, der dazu neigt, den Ausdruck auf die allgemeinsten, anonymsten und abstraktesten Formeln zu verflachen, die Bedeutungen zu verwässern, die Ausdrucksecken und –kanten abzuschleifen und jeden Funken zu ersticken, der beim Zusammenprall der Worte mit neuen Situationen entsteht.«
[Italo Calvino, Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend]


Julia Mayer

Maddalena Fingerle