Jürgen Kaube
Bücher u.a.: Die gespaltene Gesellschaft [zusammen mit André Kieserling; 2022]; Hegels Welt [2020]; Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder? [2019]
(Das Sonntagsgespräch – Forum für Demokratie / Sonntag, 27. August 2023 / Beginn: 11.30 Uhr / Einlass: 10.30 Uhr)
»Die Gesellschaft, so kann man sagen, besteht aus Ungleichheiten. Was also heißt „Zusammenhalt“ und „Zerfall“, wenn etwas anderes gemeint sein soll, als das Unbehagen an den Unterschieden der Gesellschaft oder an ihrem Zurückbleiben hinter politisch formulierten Erwartungen?«
[Jürgen Kaube/André Kieserling, Die gespaltene Gesellschaft]
Zusammen mit seinem Mitautor, den Bielefelder Soziologen André Kieserling, untersucht Jürgen Kaube das Phänomen der inzwischen standardmäßig in Talkrunden und anderen politischen Infotainment-Formaten – sei es im Fernsehen, im Radio oder in den Sozialen Medien – ins Konsumentenbewusstsein hinein gelärmten These von der Polarisierung bzw. drohenden Spaltung der Gesellschaft. Indem beide Autoren mit vielen Beispielen ihre These belegen, dass Demokratie generell »ein Verfahren des Konflikts« ist, in der die Gesellschaft »als Feld der bejahten Unterschiede, der Konkurrenz, der normalen Differenzen und auch der Indifferenzen« beschrieben wird, decken sie die Haltlosigkeit einer Spaltung der Gesellschaft auf. So sei zum Beispiel die große Anzahl von Wechselwählern bei politischen Wahlen keine Anzeige einer zunehmenden Polarisierung, sondern Zeichen einer vielfältigen und freien Gesellschaft. »Was als Spaltung beschrieben wird«, so Thomas Schmidt in seiner Buchbesprechung in der WELT, »ist oft Mobilität, Flexibilität, die Fähigkeit zur Anpassung an unterschiedlichste Situationen. Weswegen, wie die Autoren ausführlich darstellen, „identitäre“ Politik (alte weiße Männer, People of Color) eine törichte Rollenreduktion ist, die keinen Platz in einer freien Gesellschaft haben sollte.«
Angesichts einer unsicheren Zukunft mit Blick auf zunehmende Veränderungen des Klimas und den nicht vorhersehbaren Fortgang des Ukrainekrieges bleibt jedoch die Frage, inwiefern das nicht abreißende mediale und politische Gerede von einer gesellschaftlichen Spaltung den einzelnen Bürgern eben dieser Gesellschaft auf Dauer den Mut und das nötige Selbstbewusstsein raubt, um mit Vernunft auf diese viel real erscheinenderen Zukunftsprobleme zu reagieren.
Jürgen Kaube, 1962 in Worms geboren, ist seit 2015 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und hier zuständig für das Feuilleton. Im gleichen Jahr bekam der diplomierte Volkswirt und Soziologe den Ludwig-Börne-Preis zugesprochen. Kaube stehe mit seinen oft scharfen Urteilen wie Ludwig Börne ganz in der Tradition der Aufklärung, so der Historiker und alleinige Preisrichter Dan Diner. Für seine Biografie Hegels Welt wurde Kaube im Jahr 2021 mit dem erstmals vergebenen Deutschen Sachbuchpreis ausgezeichnet.

F.A.Z. / Frank Röth