Guillaume Paoli

[Philosoph, Schriftsteller]

(Sonntag, 25. August 2024 / Beginn: 11.30 Uhr / Einlass: 11.15 Uhr / AQUA MAGICA-Park / Das Sonntagsgespräch – Forum für Demokratie)

Bücher u.a.: Etwas Besseres als der Optimismus [2024]; Geist und Müll [2023]; Die lange Nacht der Metamorphose [2017]

»Das kritische Denken darf keine höfliche Verpackung der Selbstaufgabe sein. Und wenn es Verzweiflung sein soll: So wie es eine lähmende Zuversicht gibt, gibt es auch eine Energie der Verzweiflung.«
[Guillaume Paoli, Dankesrede zum Günther-Anders-Preis]

Etwas Besseres als den Optimismus gibt es überall, diesen Satz würde der 1959 in Frankreich geborene Guillaume Paoli, diesjähriger Preisträger des Günther Anders-Preises für Kritisches Denken, unterstützen. Damit zielt er in die gleiche Richtung wie der Namensgeber des Preises, der Philosoph Günther Anders, dessen hochaktuelle Hauptthesen es waren, dass der Mensch der Perfektion seiner Produkte nicht gewachsen sei, „dass wir mehr herstellen als vorstellen und verantworten können; und dass wir glauben, das, was wir können, auch zu dürfen …“ Letzten Endes stellten diese Verhaltensweisen, so Paoli, nichts anderes dar, als den Mangel und die Unvollkommenheit, die dem Menschen biologisch, moralisch und sozial zu eigen sind, durch Technik zu kompensieren, weil er die Hoffnung auf Bildung und Kultur längst aufgegeben habe. Das bedeutet nichts anderes, als die Aufgabe der Möglichkeit und des Vertrauens in einen Dialog mit rationalen Argumenten auf der Grundlage allgemeiner, normativer Kriterien, an dessen Stelle längst die Empfindlichkeit und das Gefühl partikularistischer Interessen einzelner segmentierter Gruppen getreten sind, mit denen „im besten Fall ein Ausgleich der Befindlichkeiten, im schlimmsten ein Konkurrenzkrieg“ möglich ist.

Eine nicht zuletzt durch den fetischisierten Glauben an die neuen Technologien hervorgerufene „Null-Risiko-Ideologie“ hat, so Paoli, zu einem neuen Menschentypus geführt, der die Verarmung seiner Erfahrungen nicht als Mangel wahrnimmt, sondern „aus Sicherheitsbedürfnis und Bequemlichkeit die Albträume von einst als Segen begrüßt. Der gläserne Mensch will er sein, permanent überwacht, ferngesteuert und für sein korrektes Benehmen belohnt. Darin kann er beim besten Willen keinen Faschismus erkennen.“ Das große Problem besteht sowohl in der freiwilligen Aufgabe, den eigenen Verstand zu nutzen, als auch in der Einsicht, dass alle Probleme menschengemacht sind. Denn zu einer Lösung kann es nur kommen, wenn man bereit ist, Geist und Müll voneinander zu trennen: Das heißt, die eigenen Mängel, Widersprüche und Verzweiflungen zu akzeptieren und bereit zu sein, Konflikte ohne „Gefühlsexhibitionismus“ miteinander auszutragen. Wenn es dann noch gelänge, sich wieder auf universale ethische Normen zu verständigen, besteht vielleicht auch die Möglichkeit, dass die unmittelbarste aller Bedrohungen auch kleiner wird, nämlich die, dass der Verstand der Wirklichkeit hinterherhinkt „und in den Zwischenräumen […] Ängste und Ersatzhandlungen“ eindringen, so Paoli, der seit 1992 als Schriftsteller und Philosoph in Berlin lebt.


Renate Koßmann

Guillaume Paoli