Goliarda Sapienza
[Schriftstellerin, 1924-1996]
(Samstag, 24. August 2023 / Poetische Quellen in der Innenstadt von Bad Oeynhausen / Colon-Sültemeyer-Brunnen / Beginn: 10.30 Uhr / Eintritt frei!)
Vorgestellt wird Sapienzas Buch Ich, Jean Gabin [2024] von Klaudia Ruschkowski.
»Warum nur reden wir nicht dauernd und seit Jahren über Goliarda Sapienza?«
[Antonia Baum, deutsche Autorin und Journalistin]
Goliarda Sapienza wird 1924 in Catania als Tochter zweier Vorkämpfer der sozialistischen Bewegung in Italien geboren. Die Mutter ist Frauenrechtlerin, die Familie ein Patchwork und so verlebt Goliarda als das geliebte jüngste Kind eine behütete Kindheit. Mit 16 Jahren geht sie nach Rom an die Schauspielschule und wird, wie schon ihre Eltern, von den Faschisten verfolgt und schließt sich daraufhin dem Widerstand an. Nach dem Krieg wird sie als Theaterschauspielerin gefeiert und spielt in Filmen wie Luchino Viscontis Senso mit. Zwanzig Jahre lang ist sie mit dem Regisseur Francesco Maselli liiert und avanciert zu einer wichtigen intellektuellen Figur der römischen Nachkriegsgesellschaft.
1950 beginnt sie, zunächst Gedichte zu schreiben, ab Ende der fünfziger Jahre erkrankt sie an schweren Depressionen. Sie begibt sich in Psychotherapie, doch das Schreiben wird immer zentraler in ihrem Leben. Nach zwei missglückten Selbstmordversuchen und dem Ende der Beziehung zu Maselli, zieht sich Sapienza immer weiter aus der römischen Gesellschaft zurück. Neun Jahre lang arbeitet sie an ihrem großen Roman Die Kunst der Freude, isoliert sich immer weiter und verarmt zunehmend. Als der Roman schließlich fertig ist, will kein Verlag in Italien ihn verlegen – zu lang, zu unkonventionell, ein Skandal. Sapienza schreibt kompromisslos weiter, unbeachtet und vergessen, ist zu keinen Zugeständnissen bereit und versetzt dabei Bilder, Möbel und Schmuck. Schließlich begeht sie sogar einen Diebstahl und wird 1980 für einige Monate inhaftiert. Über die Zeit im Gefängnis schreibt sie später in Tage in Rebibbia. Goliarda Sapienza stirbt am 30. August 1996 in Gaeta, einem kleinen Badeort am Tyrrhenischen Meer.
In ihrem 2010 posthum veröffentlichtem Roman Ich, Jean Gabin findet sich dieselbe stilistische und elanvolle Energie wie schon in Die Kunst der Freude. Die anarchistische Ikone des französischen Kinos wird hier zum Alter Ego der jungen Goliarda, die seine Filme in- und auswendig kennt. Rebellisch, passioniert, mit einer imaginären Zigarette im Mundwinkel, streift sie durch die Straßen von Catania wie Jean Gabin durch die Kasbah von Algier.
Archivio Sapienza Pellegrino