Ginevra Lamberti
[Schriftstellerin]
(Sonntag, 25. August 2024 / Beginn: 15.00 Uhr / Ort: AQUA MAGICA-Park / Lesungen und Gespräche am Nachmittag)
Roman: Der Aufruhr unserer Herzen [2024].
Ginevra Lamberti ist eine der interessantesten Stimmen der jungen italienischen Gegenwartsliteratur. Sie wurde 1985 in San Patrignano geboren und lebt in Rom und Vittorio Veneto. Bisher hat sie vier viel beachtete Romane und einige Kurzgeschichten veröffentlicht. Als Kulturjournalistin schreibt sie zudem für die Tageszeitung Domani. Ihr zweiter Roman Perché comincio dalla fine wurde 2020 mit dem renommierten Premio Mondello geehrt. Bei den Poetischen Quellen stellt sie ihren 2022 in Italien erschienenen dritten Roman Tutti dormono nella valle vor, der im Deutschen den Titel Der Aufruhr unserer Herzen erhielt, anstatt ihn näher am italienischen Original etwa mit Im Tal schlafen alle zu übersetzen.
Das ist schade, denn Lamberti hat eine Geschichte geschrieben, die von den Menschen eines in einem Tal gelegenen Dorfes zwischen den 1960er Jahren und 2010 mit Sprüngen zurück in die 1950er Jahre erzählt, deren Alltag sich immer weiter verändert, deren Welt aus kleinen Dingen besteht und die eigentlich immer von dem Wunsch begleitet werden, aus ihrem abgelegenen Tal irgendwo in Venetien herauszukommen, es aber in der Regel nicht schaffen. Man könnte deshalb vermuten, dass sich die Autorin mit dem italienischen Originaltitel an ein Zitat aus Edgar Lee Masters Spoon River Anthology angelehnt hat, in der es gleich zu Beginn heißt: »Wo sind Elmer, Herman, Bert, Tom und Charley, / der Willensschwache, der mit dem starken Arm, der Clown, der Säufer, der Kämpfer? / Alle, alle schlafen auf dem Hügel.«
Wie in Masters Poem tragen auch die Personen in Lambertis Roman nur den Vornamen: Die Eltern Augusta und Tiziano, ihre Tochter Costanza, Claudio, der Junkie, und Gaia, Costanzas Tochter. Das Tal, in dem Costanza aufwächst, ist in der Zeit erstarrt, genau wie die Menschen mit ihren Regeln und Riten. Während ihre Mutter Augusta noch vor dem Krieg floh und in der Enge Halt suchte, will die Tochter dieser bedrückenden Existenz entfliehen. Sie treibt sich herum und stürzt sich in die befreiende Atmosphäre der 1970er Jahre, in der sie Claudio kennenlernt. Doch seine Heroinsucht verschlägt sie in eine Gemeinschaft von Ex-Junkies, in der ganz eigene Zwänge herrschen. Erst ihre Tochter Gaia wird von den Frauen dieser Familie erzählen, indem sie sich die Frage stellt, wie die Wege, die die Frauen vor ihr eingeschlagen haben, ihre Existenz bestimmen und wie sie ihren Weg in der Welt finden kann.
»Ein virtuos vielschichtiger Roman, geschrieben in einer immer anderen und immer kontrollierten Sprache, die sich nicht scheut, dem Leser Engagement und Scharfsinn abzuverlangen, ihn dann aber mit allen Freuden des Epos entschädigt, das sich über mehr als ein halbes Jahrhundert und vier Generationen erstreckt.«
[Mattia De Bernardis, Domani]
Nicola Bernardi / Piper Verlag