Fabio Stassi
[Schriftsteller]
(Donnerstag, 22. August 2024 / Beginn: 19.30 Uhr / Einlass: 18.45 Uhr — Ort: AQUA MAGICA-Park)
Roman: Die Seele aller Zufälle [2024]
Literatur hat kreolisches Blut, ist übernational, ist ein Ort ohne Grenzen, ohne Schranken, ohne Hierarchien. Im Mittelpunkt der Literatur steht der Mensch, und in ihr braucht er keine Aufenthaltsgenehmigung. Das ist meine Idee von Literatur, die ich versucht habe, auf jeder Seite, die ich geschrieben habe […], zum Ausdruck zu bringen.
[Fabio Stassi, Wir sind nicht das Land von Don Quichotte]
Im vergangenen Jahr war Fabio Stassi mit seinem Kriminalroman Ich töte wen ich will zu Gast bei den Poetischen Quellen. Es war das erste bei der Karlsruher Edition Converso ins Deutsche übersetzte Buch, in dem sein Protagonist Vince Corso auftritt, ein Ex-Vertretungslehrer, der in seiner Dachwohnung in der römischen Via Merulana versucht, als Bibliotherapeut – jemand der seinen Klienten die passenden Bücher verschreibt, die dabei helfen sollen, ihre Seelen wieder ins Gleichgewicht zu bringen – sein Geld zu verdienen, weil er davon überzeugt ist, „dass es nichts Menschlicheres gibt als das Lesen“, und dabei von Roman zu Roman zum Gelegenheitsdetektiv wird. In diesem Jahr stellt Stassi den zweiten Band seiner bisherigen Vince Corso-Trilogie mit dem Titel Die Seele aller Zufälle vor, der in Italien vor Ich töte, wen ich will erschienen ist.
Corso erhält diesmal Besuch von Giovanna Baldini, einer älteren Dame, deren Bruder, ein an Alzheimer erkrankter Buchliebhaber und ehemaliger Weltreisender, in offenbar willkürlicher Abfolge Sätze wiederholt, deren Bedeutung entschlüsselt werden soll. Giovanna Baldini ist überzeugt, dass die Sätze alle aus einem Buch stammen, und bittet Corso, eben dieses Buch zu finden. In 26 Kapiteln, die nach den Buchstaben des Alphabets sortiert sind, folgen die Leser Vince Corso durch ein regennasses Rom dabei, wie er versucht, einzelne Puzzleteile zur Lösung des Rätsels zusammenzutragen.
Fabio Stassi, 1962 in Rom als Sohn sizilianischer Eltern geboren, ausgezeichnet mit vielen Literaturpreisen in seiner Heimat, ist selbst ein unermüdlicher Leser und leitet im Brotberuf die Orientalische Bibliothek an der römischen Universität La Sapienza. Er bezeichnet sich selbst als „Schriftsteller-Leser“ vor dem Hintergrund der Erfahrung, dass sich sein eigenes Schreiben aus dem Lesen entfaltet. Das ist eine Auffassung von Literatur, die Alberto Manguel als „kumulativ“ bezeichnet, was nichts anderes bedeutet als das jedes Buch ein anderes nach sich zieht, egal ob als Leser oder als Autor. Ein Bespiel dafür ist die Straße in der Vince Corso wohnt, deren Name auf den italienischen Klassiker von Carlo Emilio Gadda mit dem Titel Die grässliche Bescherung in der Via Merulana verweist. Eine von vielen literarischen Anspielungen, die zusammen nur eines sein wollen: Ein Plädoyer für das Lesen von Literatur.
Roberto Gandola