Elsa Morante

[Schriftstellerin, 1912-1985]

(Samstag, 24. August 2024 / Beginn: 17.00 Uhr / AQUA MAGICA-Park / Das Tischgespräch I)

Roman: La Storia [1974; deutsche Neuübersetzung 2024]

»Ihr Blick war sehr durchdringend, was damit zusammenhing, dass sie kurzsichtig war und aus Eitelkeit nie eine Brille trug. Sie schien hinter das zu gucken, was sie unmittelbar ansah. Ein großer, sinnlicher Mund. Außerdem hatte sie einen schönen Körper. Aber das, was einen sofort faszinierte an Elsa, war ihr Ernst. Ein tiefer Ernst, so wie ihn Kinder besitzen. Was nicht heißt, dass sie nicht fröhlich sein konnte, im Gegenteil. Sie war eher ein tragischer Mensch, aber sie platzte oft vor Fröhlichkeit. Man könnte sagen, dass ihr Frohsinn das Zeichen ihres Lebens war, so sehr es auch von einer dramatischen und tragischen Dimension durchdrungen war. Sie war allerdings auf ernste Weise fröhlich, es herrschte immer eine unglaubliche Intensität. Das hat mich am meisten angezogen. Sie hat nie zugelassen, dass sich die Dinge in Bedeutungslosigkeit auflösten. Und all das spiegelte sich in ihrem Gesicht.«
[die Dichterin Patrizia Cavalli über ihr Freundin Elsa Morante]

Elsa Morante, 1912 in Rom geboren, wuchs zusammen mit drei Geschwistern im römischen Arbeiterviertel Testaccio auf. Schon mit 18 Jahren zieht sie aus dem schwierigen Elternhaus aus und hält sich mit Nachhilfestunden und der Veröffentlichung von Gedichten und Erzählungen über Wasser. Ihr Literaturstudium muss sie aufgeben, schreibt aber Abschlussarbeiten für andere. Im November 1936 lernt sie Alberto Pincherle kennen, der unter seinem Schriftstellernamen Moravia bereits Bekanntheit erlangt hatte. Fünf Jahre später heiraten sie und halten sich oft auf Capri auf, wo das Leben preiswert ist und sich beide ihrem exzentrischen Lebensstil hingeben können. Die zunehmende Bedrohung durch den Faschismus – beide haben einen jüdischen Elternteil – schweißt das Paar zusammen. Beide führen ein Schiftstellerleben, bei dem Moravia deutlich produktiver ist. Nach Lüge und Zauberei (1948) erscheint 1957 Elsa Morantes zweiter Roman Arturos Insel, für den sie mit dem Premio Strega, dem wichtigsten italienischen Literaturpreis, ausgezeichnet wurde. Zum engeren Freundeskreis des Paares zählen zu dieser Zeit Pier Paolo Pasolini, Luchino Visconti und Natalia Ginzburg, die beim Einaudi Verlag, wo Morante herausgegeben wurde, ihre Lektorin war. 1963 trennen sich Alberto Moravia und Elsa Morante. Nun ist Morante meist von jüngeren Freunden umgeben. 1974 erscheint ihr Roman La Storia, der sofort ein großer Publikumserfolg wird. Ihr letzter Roman Aracoeli kommt 1982 heraus zu einem Zeitpunkt, in dem Morante durch einen Oberschenkelhalsbruch bereits stark eingeschränkt ist. Ein Jahr darauf überlebt sie einen Suizidversuch. Am 25. November 1985 stirbt sie schließlich nach zweieinhalb Jahren Klinikaufenthalt.

Unmittelbar nach Erscheinen ihres Romans La Storia 1974 wurde der Roman rasch zu einem auch internationalen Erfolg und zwei Jahre später erstmals ins Deutsche übersetzt. Elsa Morante hatte durchgesetzt, dass ihr fast 700 Seiten umfassender Roman sofort als günstige Taschenbuchausgabe erschien, die binnen kürzester Zeit 600.000 Mal in Italien verkauft wurde. Aber was da erzählt wurde, war ideologisch bedenklich: eine sanft vorgebrachte und dennoch deutliche Provokation marxistischer Geschichtsschreibung, die das festgefügte Bild von Schuldigen und Opfern verwischte und nicht an eine linke Revolution glaubte.

»Das stärkste und tiefste Gefühl, das ich, als Romanautor und als gewöhnlicher Leser, der Storia gegenüber empfinde, ist ein Gefühl von grenzenloser Dankbarkeit (…)«
[Natalia Ginzburg in Appunti sulla “Storia”]

In La Storia gehört Elsa Morantes Teilnahme den Geschundenen der Geschichte. Sie bezeichnete den Roman auch als „eine politische Aktion“. Im Mittelpunkt steht die Lehrerin Ida, deren Schicksal zwischen 1941 und 1947 mit großer Wärme und unendlicher Zuneigung erzählt wird. In den Armenvierteln Roms müht sie sich ab, ihre beiden Söhne durchzubringen: Den lebenshungrigen Taugenichts Nino, anfangs faschistisches Großmaul, dann Gelegenheitspartisan, der seine schlechten Startbedingungen als Schwarzmarktprofiteur wettzumachen versucht, und Giuseppe, genannt Useppe, den Ida nach einer Vergewaltigung durch einen angetrunkenen deutschen Soldatenknaben als Niemandskind zur Welt bringt. Als Halbjüdin lebt sie in ständiger Angst, von den Faschisten verhaftet zu werden, schafft es aber, den Krieg zu überstehen. Doch das Kriegsende bedeutet neues Unglück für die unsagbar leidensfähige Ida: Nino fällt seinem Draufgängertum zum Opfer und kommt auf der Flucht vor der Polizei bei einem Autounfall ums Leben. Der kleinwüchsige Useppe, zum Glücklichsein angelegt, beginnt unter epileptischen Anfällen zu leiden und geht schließlich mit seiner überhellen Wachheit am Grauen der Welt zugrunde. Der Geschichte der kleinen leute wird jedem Jahreskapitel in Form eines kurzen Nachrichtentickers eine Chronik der kollektiven, historischen Ereignisse gegenübergestellt.

Zu ihrer Neuübersetzung des Romans sagen Klaudia Ruschkowski und Maja Pflug:

„Fast fünfzig Jahre nach de deutschen Ersterscheinung La Storia neu zu übersetzen ist eine Herausforderung. Zumal in einer Gegenwart, in der sich die Gewalt der Macht unverhohlen zeigt, in einer Zeit, die für viele erneut von Krieg geprägt, für viele von Krieg bedroht ist.“

»La Storia ist der einzige Roman, der von Elsa Morante […] selbst erzählt wird: als ohnmächtige Chronistin, leidenschaftliche, epische Dichterin, Gott, dem die Hände gebunden sind, Mutter mit zu Berge stehenden Haaren, die ihre Kinder vor der „historischen“ Pest schützt, niemand ausgeschlossen.«
[Cesare Garboli, Literaturkritiker, Essayist und Übersetzer]


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Elsa Morante