Zu Dzevad Karahasan (1953 – 2023)

Bücher u.a.: Einübung ins Schweben [2023]; Tagebuch der Übersiedlung [2021]

(Donnerstag, 24. August 2023 / Beginn: 19.30 Uhr / Einlass: 18.45 Uhr)

»Eine der Grundfunktionen der Kunst ist, die Menschen vor der Gleichgültigkeit zu schützen, und der Mensch ist am Leben, solange er nicht gleichgültig ist.«
[Dževad Karahasan, Tagebuch der Übersiedlung]

„So Gott will“, lautete die Wendung, die der 1953 in Duvno im heutigen Bosnien-Herzegowina geborene Dževad Karahasan bei Gesprächen sehr oft seinen Ausführungen oder Sätzen hinterherfügte. Ob man sich in Berlin, in Sarajevo oder bei den Poetischen Quellen wiedersehen wollte – aber natürlich, von ganzem Herzen ja, „so Gott will“.

Auch in diesem Jahr sollte Dževad Karahasan hier wieder auf dem Podium sitzen, um seinen neuen Roman Einübung ins Schweben vorzustellen und in seinem unvergleichlichen Tonfall daraus zu lesen. Überraschend schnell starb er jedoch zuvor an einer schweren Krankheit am 19. Mai dieses Jahres.

Auch ohne seine Anwesenheit, stellen Karahasans Bücher und Gedanken zur Literatur eine Bereicherung für jedes Literaturfest dar. Alles war für ihn eingebunden ins Leben, auch die Literatur, die für ihn vor allem die Aufgabe besaß, „die Einheit der Welt und die Einheit der menschlichen Handlungsweisen zu verteidigen und zu beweisen, indem sie aufzeigt, dass es keine ethisch neutralen Handlungsweisen gibt, weil diese schlicht nicht möglich sind.“ Unermüdlich schrieb Karahasan mit seinen Romanen und Essays gegen ein dualistisches, alles vereinfachendes Weltbild an, dass er bei all den Menschen prognostizierte, die statt eines konkreten Lebens nur noch „Wissen und Verstehen“, aber keine wirklichen emotionalen, auf erlebter Erfahrung beruhenden Erkenntnisse mehr hätten. Letztere hielt er für unabdingbar, weil der Mensch nur durch sie immer wieder aufs Neue an die unwiederholbare Einzigartigkeit jedes einzelnen Ereignisses und Lebewesens erinnert werde. Gemeint ist eine Einzigartigkeit, die aus dem Unterschied besteht, der sich nur im Gegenüber von Ich und Du offenbart. Verständnis und Reflektion sind nötig, um Erlebnisse in geistige Inhalte zu verwandeln, durch die allein ein ganzheitliches Weltverständnis erschaffen wird. Aus dem Grund dürfen sich auch „der Schriftsteller und die Literatur (…) nicht auf die Vereinfachung einlassen“, denn anderenfalls verkümmert die Literatur und wird „zum Missbrauch des literarischen Könnens und Handwerks.“

»Wer ihn liest, staunt über die Klarheit und Schönheit seiner Sprache, über die Souveränität, mit der er Historie und Gegenwart, Archaik und Zeitgeist, Spannung und Langsamkeit zusammenbringt. Ein Erzähler nicht nur von europäischem, sondern von Weltrang.«
[Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung, 2023]


Faktor Ba

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